Kommunikationsmodelle als Arbeitsinstrumente in der Praxis

Wenn ich an Hochschulen mit Kommunikationsmodellen komme, stöhnen die meisten Studierenden auf. Für Sie sind Modelle Theorie und haben nichts mit der Praxis zu tun. Auch in Workshops mit Teams fällt mir immer wieder auf, dass Modelle eher als notwendiges Übel aus Kommunikationstrainings in Erinnerung sind. Dabei steckt in Modellen ein mächtiges Potential, nämlich ein Instrument für die Selbstreflexion.

Schauen wir uns mal an, wie Selbstreflexion in einem Konfliktfall funktionieren soll:

Andrea arbeite in einem Team und ständig kommt es zu Konflikten. Offene Streitereien sind an der Tagesordnung. Andrea versucht sich klar zu machen, worum es überhaupt geht, kommt aber nicht über den Gedanken hinaus, dass er selber alles richtig macht und die anderen ihn bestenfalls nicht verstehen wollen oder schlimmstenfalls ihn und seine Arbeit sabotieren. Völlig entnervt sucht er sich eine neue Stelle und nach einem halben Jahr ist er wieder am genau gleichen Punkt. Es kann doch nicht sein, dass Andrea das Genie auf Erden ist und alle anderen absolut dumm und blöd. Aber offenbar ist es so.

 

Wie kann ich mich in solchen und ähnlichen Situationen selber hinterfragen? Nun, ich könnte mir ja einfach so mal ein paar Fragen zur Situation stellen: Warum ist die Situation so, wie sie ist? – Ganz einfach: Ich habe mein Bestes gegeben und die andern nicht. Wieso habe ich so reagiert? – Die andere Person hat mich provoziert. Warum hat sie das getan? – Das kann ich mir auch nicht erklären.

Herausforderung: sich distanzieren

Was macht die Selbstreflexion so schwierig und wie könnte ich dennoch etwas weiterkommen? Zwischenmenschliche Kommunikation ist komplex. Modelle helfen, Komplexität zu reduzieren. Das Modell alleine löst natürlich keinen Konflikt, aber es hilft mir, den Blick auf bestimmte Punkte zu fokussieren und Erklärungen und Lösungsstrategien mit mehr Distanz zu prüfen.

Selbstreflexion: mit Modellen die nötige Distanz schaffen
Selbstreflexion: mit Modellen die nötige Distanz schaffen

Wenn wir eine Situation mit einem Modell analysiere, dann schaue wir sie im Kontext an. Dadurch können wir selber ein wenig zurück treten und einen objektiveren Blick einnehmen. Man spricht hier von der „Meta-Ebene“: Ich begebe mich aus der aktuellen Situation heraus und betrachte sie aus der Ferne. Dadurch kann ich neutraler analysieren.

Je nach Modell können wir den Fokus verändern. Beispielsweise legt das Modell von Schulz von Thun „Vier Seiten einer Nachricht“ den Fokus auf verschiedene Seiten einer Äusserung und betracht, wie diese Seiten auf andere wirken. Dabei lassen sich die eigenen Äusserungen genauso analysieren wie auch die Reaktionen von anderen. Wenn wir zusätzlich versuchen, jeweils unterschiedliche Interpretationen zu finden, löst sich der Blick plötzlich aus der verfahrenen Situation.

Mit Schulz von Thuns Vier-Seiten-Modell könnte das dann so aussehen:

Andrea: „Guten Morgen. Habt ihr gestern die Dokumentation noch fertig gestellt?“
Carla: „Hm.“
Dani: „Ja, klar, für dich machen wir alles. Wir machen Überstunden und dann schreiben wir auch noch die Dokumentation. Du wirst bestimmt bald befördert, damit du uns dann offiziell herumkommandieren kannst.“

 

Andreas Aussage, wie sie gemeint war (kann nur von Andrea beurteilt werden!):

    • Sachebene: Ich wünsche dir einen guten Morgen. Habt ihr die Dokumentation noch fertig gestellt?
    • Appell: Sagt mir, ob die Dokumentation fertig ist.
    • Selbstoffenbarung: Das Projekt gefällt mir und ich freue mich, heute daran weiterzuarbeiten.
    • Beziehungsebene: Wir arbeiten zusammen und spielen uns die Teilaufgaben zu.

Andreas Aussage, wie sie möglicherweise bei Carla und Dani angekommen ist (Vermutungen!):

    • Sachebene: Habt ihr die Dokumentation noch fertig gestellt?
    • Appell: Sagt mir, ob die Dokumentation fertig gemacht habt. ODER: Macht endlich mal vorwärts. ODER: Gebt zu, das ihr faul und unnütz seid.
    • Selbstoffenbarung: Ich möchte gerne am Projekt weiterarbeiten. ODER: Ich habe keine Lust, mit euch an diesem Projekt zu arbeiten. ODER: Ich schaffe es, jeden Morgen ausgeruht hier aufzutauchen.
    • Beziehungsebene: Wir machen alle unsere Aufgaben und spielen und die Bälle zu. ODER: Ich muss immer auf euch warten, weil ich meine Arbeit effizienter mache. ODER: Ich bin besser und habe darum eine bessere Funktion verdient.

     

  • Wichtig scheint mir, dass wir wirklich immer nach mehreren unterschiedlichen Interpretationen suchen, denn wir kennen die wirkliche Absicht ja nicht. Wir müssen uns darum einen grossen Spielraum an Möglichkeiten verschaffen. Damit können wir den Blick öffnen. Hilfreich ist es dabei auch, immer wieder bewusst darauf achten, die Fakten (was wir sehen / hören können) und unsere Interpretationen (was wir vermuten) zu trennen.

    Instrumente: Fokuspunkt finden

    Es gibt keine „richtigen“ und „falschen“ Modelle. Je nach Modell verschiebt sich die Thematik, die wir in den Fokus nehmen können. Bei manchen Themen haben wir vielleicht schon eine Vorahnung, worum es gehen könnte. Vielleicht müssen wir auch mit mehreren Modellen dahinter. Oder vielleicht kreieren wir sogar ein eigenes Modell, das wir auf die Situation massschneidern können. Hier einige Beispiele von bekannten Kommunikationsmodellen und Fokuspunkten:

    Modell Fokus
    Watzlawicks Axiome der Kommunikation Beziehung vs. Inhalt (Wer sagt wem was?), Inhalt vs. Art und Weise (z.B. Gestik, Mimik), Aktion und Reaktion (Wer reagiert worauf?)
    Vier Seiten einer Nachricht von Schulz von Thun Fokusunterschiedliche Deutungen, Sach- und bes. emotionale Ebenen, Aktion und Reaktion
    Transaktionsanalyse von Berne gegenseitiges Verhalten („Ich bin ok. Du bist ok.“, Verhaltensmuster: Erwachsenen- / Eltern- / Kind-Ich)
    Synergetische Collaboration Wille zur Zusammenarbeit
    Sprechakttheorie von Austin und Searle Missverständnisse, bes. sachliche Ebene (Gemeintes / Verstandenes, Intention / Reaktion)

    Die Modelle beleuchten also jeweils eine bestimmte Perspektive auf einen Konflikt (oder einfach auf eine Kommunikationssituation). Sie können der Situation mehr oder weniger angemessen sein: Wenn ich vermute, dass dem Konflikt ein Missverständnis zugrunde liegen könnte, dann lohnt sich beispielsweise eine Analyse mit der Sprechakttheorie. Vielleicht merke ich aber auch, dass die Analyse nirgends hinführt und dann probiere ich es mit einem anderen Modell. Ein Modell unterstützt die Konfliktlösung dann optimal, wenn es den Konflikt gut abbildet.

    Kommunikationsmodelle in der Praxis: Reflexionskompetenzen stärken

    Es stimmt mich sehr zuversichtlich, dass in verschiedenen Bereichen die Arbeit mit Kommunikationsmodellen mittlerweile zum Standard gehört bei Aus- und Weiterbildung. Es geht dabei nicht darum, Theorie zu pauken, sondern es es scheint mir, dass diese Modelle ein wichtiges und praktikables Instrument für die Selbstreflexion und zur eigenen Weiterentwicklung und Veränderung von eigenem Verhalten darstellen. Und wenn wir Menschen dazu bringen, sich selbst und ihr Verhalten zu reflektieren, dann leisten wir damit einen Beitrag an die Zusammenarbeit zwischen Menschen. Selbstreflexion gehört heute wie selbstverständlich zu einem professionellen Auftritt (vgl. z.B. Pachner, 2013). Dies insbesondere auch in Bereichen, wo die Kommunikation zwischen Laien und Expert:innen besonders wichtig wird, wie beispielsweise in Medizin und Pflege (vgl. z.B. Hoos-Leistner, 2021 und Winert et al., 2015).

    Quellen

    • Hoos-Leistner, H. (2021). Kommunikation als Lerneinheit im Unterricht. In: Pflege Zeitschrift (1-2/74), S. 46–50.
    • Pachner, A. (2013). Selbstreflexionskompetenz. Voraussetzung for Lernen und Veränderung in der Erwachsenenbildung? In: Magazin erwachsenenbildung.at Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs (20). Online: http://www.erwachsenenbildung.at/magazin/13-20/meb13-20.pdf (22.6.22).
    • Weinert, M., Mayer, H. & Zojer, E. (2015). Geschulte Kommunikation als „Intervention“. Modelle zur systematischen Kommunikation im Gesundheitswesen. In: Der Anaesthesist (2), S. 137–144.