self-organization and chaos

[with english summary] Scrum definiert als Framework unter anderem, welche Begriffe für Rollen angemessen sind und welche nicht. Ein Fokuspunkt ist dabei die Selbstorganisation. Und diese kann eine echte Herausforderung sein. Für mich war sie als als erstes auf der sprachlichen Ebene.

Aus Neugierde, aber auch, weil ich mit meinen Studierenden mit Scrum arbeiten möchte, habe ich vor zwei Wochen den Scrum Essentials-Kurs bei Zühlke besucht — und bin total begeistert! Mein Ziel war es, nach viel Lektüre das Framework einmal live zu erleben.

Erstes Scheitern: Was ist Selbstorganisation?

Ich hatte zur Vorbereitung auf den Kurs den Scrum Guide gelesen und das Open-Assessment bei Scrum.org abgelegt. Und ich war irgendwie total eingeschüchtert über Leitsätze wie „Der Scrum Master ist nicht ein Projektleiter.“ Als wir zum ersten Sprint ansetzten, versagten wir völlig. Ich kann hier nur für mich sprechen, wenn ich über die Gründe dafür nachdenke: Da wir ohne Leitung selbstorganisiert arbeiten sollten, traute ich mich nicht, Vorschläge zu einem koordinierten Vorgehen zu machen. Das wäre für mein Empfinden ein leitendes Eingreifen gewesen und die Gruppe damit nicht mehr selbstorganisiert. Aber ich hatte in diesem Moment keine Ahnung, was Selbstorganisation eigentlich sein könnte.

Für den zweiten Sprint hatten wir dann ein Scrumboard zur Verfügung und alleine das hat bei der Koordination unserer Aktivitäten geholfen. Gemeinsam haben wir die Kärtchen in die Spalten einsortiert und uns abgesprochen, wer was übernimmt. Selbstorganisation ist Organisation, nicht Chaos. Und solange wir nicht wie die Borg oder andere Spezies aus dem Star Trek-Universum einen gemeinsamen Verstand teilen, so lange werden Einzelpersonen sprechen müssen, um zur Team-Koordination beizutragen.

Sprache und Denken

In der Linguistik gibt es die so genannte Sapir-Whorf-Hypothese (nein, das ist jetzt nicht Worf aus Star Trek), die besagt, dass die Sprache und das Denken zusammenhängen. Verkürzt gesagt: Je nachdem, was man in der Welt wichtig findet, entwickelt die Sprache Wörter und Ausdrucksweisen, um diese Welt möglichst genau zu beschreiben. Ein Beispiel dazu war lange Zeit, dass die Inuit viele verschiedene Wörter für Schnee haben, weil sie im Schnee leben und mehr Schnee-Arten unterscheiden müssen.

Wenn Denken und Sprache zusammenhängen, macht es durchaus Sinn, bei einem Change-Prozess auch Begriffe auszutauschen. Wenn ein Unternehmen also von einer klassischen zu einer agilen Organisation übergehen will, kann es dies nachhaltiger tun, wenn es Wörter mit ehemalig klassischen Leitungsfunktionen wie „Projektleiterin / Projektleiter“ künftig vermeidet. Damit bestärkt es den Willen zur Selbstorganisation von Teams und hilft sogar, diese umzusetzen.

Kultur und Haltung statt sprachlicher Ausdruck

Allerdings hängt es stark von der Kultur eines Unternehmens und der Haltung seiner Mitarbeitenden ab, welche Bedeutung Wörtern tatsächlich zugeordnet werden. Spielen sich beispielsweise Scrum Master in einem agilen Unternehmen als Projektleiter/innen auf, wird in den Köpfen bald automatisch Scrum Master mit Projektleiter/in gleichgesetzt. Die Sprache wandelt sich und passt sich der Welt an.

Meine Mühe mit der Selbstorganisation hat ihre Wurzeln genau im umgekehrten Beispiel: Ich habe noch nie in einem Unternehmen gearbeitet, dass sich bewusst der Agilität verschrieben hat. Meistens aber waren die Unternehmen derart komplex, dass eine klassische Führung gar nicht möglich gewesen wäre. Das hat zur Folge, dass meine Verbindung mit dem Wort „Projektleitung“ immer schon agil war: Als Projektleiterin arbeite ich mit dem Team zusammen. Gemeinsam und gleichberechtigt denken wir, arbeiten wir an Lösungen und entscheiden uns für den Weg, der uns am plausibelsten erscheint. Auf dem Papier bin ich die Projektleiterin, aber in der Umsetzung sind wir selbstorganisiert.

Am Ende müssen sich Unternehmen und Individuen nicht am Stempel der Funktionsbezeichnung messen, sondern an ihrem Verhalten. Ob jemand agil arbeitet oder nicht, zeigt sich in seiner Haltung und seinem Verhalten, nicht in seiner Funktionsbezeichnung. Aber die Änderung von Funktionsbezeichnungen kann sinnvoll sein — wenn man sie denn mit den gewünschten Inhalten auffüllt.

Summary in English

I participated in an class about Scrum Essentials. For preparation I read the Scrum Guide and I took the open assessment. So I already new about the essentials and I was a bit frightened about the very clear statements as for example „The Scrum Master is no project leader.“ When we went into our first sprint (we built a LEGO city), we were in total chaos. I don’t know about the others, but for me I can say: Since we had to be self-organized I wasn’t sure of how to do that without telling people about how we could organize ourselves.

For the second sprint we got a Scrum Board and we eased in, sorting the tasks together and deciding what to do and how. Self-organization is organization, not chaos. And to organize you have to talk to each other, you have to make suggestions about organization to help coordinating the team.

Language and Though

In linguistics there is the Sapir-Whorf-Hypothesis about the connection of language and thoughts. Briefly summarized it says that according to how you see the world your language will be build. For a long time there was the example of the Inuit having many words for snow, since snow makes a big part of their live.

If thinking and communicating are connected somehow it makes sense that in a change process you not only change your processes but also your language. If a classically led company wants to become agile it could be sustainable to rename certain functionalities (like project manager) and ban the classical vocabulary.

Culture and Behavior

Since I lead my projects always agile (thinking, discussing and deciding from all team members equally for best results) without working in an agile company I was overwhelmed by looking for how to self-organize. But then I recognized that it was exactly what I have been doing the hole time. For me, project managing was always agile leading.

So, in the end, it isn’t about the words but rather about the behavior, whether someone acts (and thinks) agile. A change of wording can be helpful, but only if you fill it with the content you wish for.