Im Berufsleben haben wir keine Lehrpersonen, die uns sagen, was richtig und was falsch ist — wenn wir etwas nicht wissen, müssen wir es selber herausfinden. Mit zunehmender Komplexität der Fragestellungen benötigen wir dafür ein Netzwerk.
Aber beginnen wir am Anfang: Früher — zum Beispiel zu Zeiten von Max und Moritz aber zuweilen auch noch bei Harry Potter — war Schule lehrerzentriert und diente der Informationsvermittlung. Der Lehrer (und viellicht auch mal eine Lehrerin) wusste, was richtig und wichtig war und erzählte es den Schüler:innen. Diese hörten immer sehr aufmerksam zu und lernten darum alles — oder auch nicht. Lernen ist tatsächlich nachhaltiger, wenn es aktiv erfolgt und vielleicht deshalb wird heute mehr lernendenzentriert gearbeitet. Dabei steht im Fokus, die Lernenden beim Lernen individuell zu unterstützen (vgl. z.B. Ulrich & Brieden, 2021).
Vom Wettbewerb zum Netzwerk-Lernen
lehrerzentriert Informationsvermittlung |
lernendenzentriert Lernunterstützung |
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Behaviorismus Lernen durch Verstärkung |
Kognitivismus Lernen durch Einsicht |
Konstruktivismus Lernen durch Erfahren, Erleben, Reflektieren |
z.B. kompetitiv | z.B. kooperativ | z.B. kollaborativ |
frei nach Ulrich & Brieden, 2021 und Grogorick & Lamprecht, 2021
Im behavioristischen Ansatz möchte man Lernen durch Verstärkung auslösen. Beispielsweise habe ich in der ersten Klasse, wenn ich eine Aufgabe gut gemacht habe, ein „Bildli“ erhalten. Das funktioniert natürlich auch umgekehrt, indem man Lernende dafür bestraft, wenn sie nicht gut gelernt haben. Typische Lernformate sind hier unter anderem kompetitiv, das heisst, die Lernenden treten gegeneinander an. Aber so wirklich gut funktioniert das offenbar nicht.
Im kognitivistischen Ansatz geht man darum davon aus, dass Lernen durch Einsicht entsteht. Wenn ich also etwas verstehe, dann lerne ich. Hier sind typische Formate kooperativ, das heisst, die Lernenden unterstützen sich gegenseitig beim Lernen.
Noch weiter geht der konstruktivistische Ansatz: Lernen entsteht durch Erfahrung, Erleben und Reflektieren. Lernformate werden nun zunehmend kollaborativ, wobei sich die Lernenden nicht nur unterstützen, sondern sie arbeiten an gemeinsamen Lernzielen und an einem gemeinsamen Lern- oder Werkstück. Lernen ist dabei direkt verknüpft mit Interaktion und Kommunikation.
Studien zeigen, dass kollaborative Lernformate einen besseren Lernerfolg hervorbringen als kompetitive Formate (vgl. Grogorick & Lamprecht, 2021). Nachtrag: Ein schönes Beispiel dafür liefert auch die Schule in Bratsch (Wiedmer, 2023), wo Kinder fast ausschliesslich in einem agilen Setting lernen. Und in der Praxis (also im betrieblichen Lernen) haben wir das sowieso schon lange.
Selbstreguliertes, agiles Lernen im Berufsalltag
Selbstreguliertes Lernen ist nicht nur beim betrieblichen Lernen ein Thema. Wer damit schon zu Schul- und Studienzeiten Erfahrungen macht, ist für die Praxis sicherlich gut gerüstet. Es geht darum, Wissen zu teilen (vgl. auch learning 3.0), wobei Lernen zum aktiven und sozialen Prozess wird. Dabei werden die Lernziele aus konkreten Bedürfnissen abgeleitet und möglichst bereichs- und hierarchieübergreifend abgearbeitet (vgl. Foelsing & Schmitz, 2021). Denn komplexe Probleme können nicht von Einzelpersonen gelöst werden und die interdisziplinäre Zusammenarbeit liefert nicht nur einen kritischen Blick, sondern auch viele neue Perspektiven und Ideen.
Das individuelle Lernen ist immer noch Grundlage für das Team- und Organisationslernen, zunehmend geht es aber darum, im sozialen Austausch zu lernen, also über soziale Interaktionen. Kollaboratives Lernen besteht also aus sozialen Interaktionsprozessen, wo Mitarbeitende gemeinsam an einem Lernziel arbeiten, sich gegenseitig unterstützen, sich beobachten und Feedback geben (vgl. Foelsing & Schmitz, 2021). Dabei leitet keine vorgesetzte Person dieses Lernen an, sondern es entsteht dort, wo Wissenslücken vorhanden sind. Wesentlich dabei ist, dass es um das gemeinsame Lernen der Gruppe geht (und nicht dem Lernen von einzelnen Individuen, vgl. Graf et al., 2019).
Herausforderungen von sozialem Lernen
Lernen im Beruf ist zumeist selbstreguliertes Lernen. Es fordert und einiges ab: Zunächst müssen wir selber Lernziele definieren. Dann müssen wir geeignetes Wissen suchen, um die Lücken zu füllen, wir müssen dieses Wissen verarbeiten und umsetzen und schliesslich müssen wir unseren Lernerfolg evaluieren.
Alleine diese Meta-Aufgaben von Lernen stellen viele Mitarbeitenden auf die Probe — obwohl wir alle doch als Kinder wie selbstverständlich gelernt haben, bis wir es möglicherweise in der Schule verlernt haben. Hinzu kommt nun aber noch, dass wir Lernen nicht mehr im Alleingang bewältigen können: Die Probleme und Herausforderungen werden komplexer und die Komplexität wird uns immer bewusster. Daher müssen wir uns auch für das Lernen mit anderen zusammenschliessen.
So können wir mehr Fachbereiche, mehr Perspektiven in unser Lernen integrieren — und so gelangen wir auch an mehr Wissen, weil wir in der Zusammenarbeit mit anderen ein grösseres Netzwerk zur Verfügung haben um Wissen einzuholen. Gleichzeitig bietet die Zusammenarbeit mit anderen die üblichen Herausforderungen. Soziale und kommunikative Kompetenzen sind Voraussetzungen für kollaboratives Lernen.
Das Modell der synergetischen Collaboration kann uns auch in dieser Situation unterstützen, indem wir unsere Lernpartner:innen ganzheitlich wahrnehmen, ihnen respektvoll und auf Augenhöhe begegnen und dadurch innovative und kreative Lösungen beim Lernen anvisieren können.
Quellen:
- Foelsing, Jan & Schmitz, Anja (2021). New Work braucht New Learning. Eine Perspektivreise durch die Transformation unserer Organisations- und Lernwelten. Wiesbaden: Springer Nature.
- Graf, Nele et al. (2019). Agiles Lernen. Neue Rollen, Kompetenzen und Methoden im Unternehmenskontext. Freiburg, 2. Aufl.: Haufe-Lexware.
- Grogorick, Linda & Lamprecht, Jens (2021). AC:DC — Agiles und kollaboratives digitales Klassenzimmer. In: HMD 58, S. 858—869.
- Wiedmer, Norbert (2023): Bratsch — Ein Dorf macht Schule. Dokumentarfilm, verfügbar auf Play Suisse: https://www.playsuisse.ch/de/show/2473306, 02.09.2024
- Ulrich, Immanuel & Brieden, Mascha (2021). Studierendenzentrierte Hochschullehre aus lernpsychologischer Sicht. In: Jörg Noller et al. (Hgg.): Studierendenzentrierte Hochschullehre. Von der Theorie zur Praxis. Wiesbaden: Springer Nature, S. 3—22.